Krankenhaus haftet bei Hinzuziehung eines Telemediziners

In einem aktuellen Urteil befasste sich das Landgericht München II (Urt. v. 10.05.2022 -1 O 4395/20) mit Haftungsansprüchen eines Krankenhauses wegen Hinzuziehung eines Telemediziners zur Schlaganfalldiagnostik.

Der klagende Patient war zu Hause kollabiert und mit dem Rettungswagen in das „kleine“ Krankenhaus eingeliefert und dort aufgenommen worden. Er wurde dort mit einem schweren Schlaganfall als Notfall behandelt.

Das Krankenhaus behalf sich zur Diagnostik mit dem Tesaurus-Telemedizin-Netzwerk. Das telemedizinische Schlaganfall-Netzwerk soll dazu beitragen, die Schlaganfallversorgung zu verbessern und vor allem bei kleineren Krankenhäusern – ohne Stroke-Unit – eine zeitnahe Therapie der Schlaganfallpatienten zu ermöglichen.

Bei dem Patienten wurden CT-Aufnahmen gefertigt, die durch das Tesaurus-Telemedizin-Netzwerk befundet wurden. Die Diagnose wurde erst nach Erinnerung und mehr als 2 Stunden nach Fertigung der CT-Aufnahmen mitgeteilt. Es ergab sich ein akuter ischämischer Medialinfarkt rechts. Der Patient wurde daher in ein Klinikum der Vollversorgung verlegt und dort weiterbehandelt.

Der Patient leidet dauerhaft an einer linksseitigen Hemiparese mit erheblicher Pflegebedürftigkeit und Schwerbehinderung.

Vorwurf verspäteter Diagnostik

Im gerichtlichen Verfahren wurde dem Klinikum vorgeworfen, man habe die gebotene Diagnostik zu spät durchgeführt. Bei rechtzeitiger Reaktion und Diagnostik hätten die irreversiblen Gesundheitsschäden vermieden werden können. Insbesondere wäre der Patient nicht auf den Rollstuhll angewiesen.

Das Klinikum berief sich auf den Fehler des telemedizinischen Netzwerkes, für den sie haftungsrechtlich nicht einzustehen habe.

Gericht bejaht Haftung der Klinik

Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, nahm das Gericht an, dass die durch das Krankenhaus veranlasste CT-Angiographie um mindestens 80 Minuten verzögert durchegführt worden sei.

Auf die Frage, ob diese Verzögerung durch das Krankenhaus selbst oder das hinzugezogene telemedizinische Schlaganfall-Netzwerk verursacht worden sei, komme es nicht an, da das Krankenhaus „so oder so“ hafte.

Krankenhaus haftet für Erfüllungsgehilfen

Das Krankenhaus hat sich zur Diagnostik dem telemedizinischen Schlaganfall-Netzwerk bedient und hafte für diesen Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB.

Die Verzögerung sei grob fehlerhaft, da es bei der notfallmäßigen Behandlung von Schlaganfallpatienten geboten sei, mit Schnelligkeit zu handeln. Es habe offensichtlich Kommunikationsprobleme zwischen Krankenhaus und Netzwerk gegeben. Des Weiteren habe es das Krankenhaus fehlerhaft unterlassen ein neurologisches Konsil einzuholen.

Hohes Schmerzensgeld wegen gravierender Folgen

Das Gericht urteilte – wegen der schweren und irreversiblen Gesundheitsschäden, die höchstwahrscheinlich bei rechtzeitiger Diagnostik und Therapie vermeidbar gewesen wären  – ein Schmerzensgeld i.H.v. 120.000,- EUR aus. 

Empfehlung für Krankenhäuser

Krankenhäuser haften somit für alle Erfüllungsgehilfen die beigezogen werden, unabhängig davon, ob diese telemedizinisch beteiligt werden oder „in Person“. Neben der Diagnostik bei Schlaganfällen, werden auch oft Leistungen wird die radiologische Befundung bei kleinen Krankenhäusern telemedizinisch „ausgelagert“.

Wichtig ist für die Kliniken, dass die durch telemedizinische Dienstleister abgedeckten Fachbereiche und Tätigkeitsgebiete auch durch die krankenhauseigene Berufshaftpflichtversicherung (mit)abgedeckt sind, da das Krankenhaus hierfür selbst haftet.

Fehlt es hieran, könnte die Berufshaftpflichtversicherung ihre Eintrittspflicht – teilweise oder schlimmstenfalls vollumfänglich – versagen. 

RAin Alexa Frey, Fachanwältin für Medizinrecht & Informationstechnologierecht

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