Kein Beweiswert bei nicht fälschungssicherer elektronischer Patientenakte

Der BGH hat in einem aktuellen Urteil einer elektronsich geführten Behandlungsdokumentation den Beweiswert aberkannt

Im Urteil des BGH v. 27.04.2021 (Az. VI ZR 84/19) machte ein Patient Schadensersatz aus einem Behandlungsfehler gegenüber einer Fachärztin für Augenheilkunde geltend. 

Behandlung wegen sog. Mouches volantes

Nachdem bei dem Patienten schwarze Flecken (sog. Mouche volantes) im Sichtfeld des linken Auges aufgetaucht waren, hatte er sich in die Behandlung der Augenärztin begeben. Diese untersuchte das Auge und gab an, es handele sich um eine altersbedingte Glaskörpertrübung. Ein Termin zur Wiedervorstellung wurde nicht vereinbart.

Drei Monate später war der Patient beim Optiker. Im Rahmen des Sehtests stellte dieser einen Netzhautabriss fest und gab an, dass es sich um einen behandlungsbedürftigen Notfall handle.   

Nichterkannte Netzhautablösung

Bei der sofort eingeleitenen ärztlichen Behandlung wurde eine Netzhautablösung diagnostiziert, nach der Operation am betroffenen Auge kam es zu einer Erblindung des linken Auges.

Pupillenweitstellung unterlassen

Der Patient machte einen Behandlungsfehler derart geltend, dass die Ärztin es unterlassen habe die Netzhaut mittels Pupillenweitstellung – sog. Mydriasis – untersucht zu haben. Eine Untersuchung des Augenhintergrundes sei daher unterblieben. Zudem habe kein Hinweis auf eine Wiedervorstellung bei Beschwerden oder ein Hinweis auf eine Nachkontrolle stattgefunden.

In der Patientenakte – auf die sich die Ärztin im Gerichtsverfahren berief – war eine Untersuchung in Pupillenweitstellung („Pup. in medikam. Mydriasis“) dokumentiert. Der Patient und seine Ehefrau hatten ausgesagt, dass eine Pupillenweitstellung mittels Augentropfen am Behandlungstag aber nicht stattgefunden habe. 

Behandlungsfehler bejaht

Der BGH bejahte das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Nach Ausführungen des Sachverständigen war angesichts der geschilderten Beschwerden eine Untersuchung in Pupillenweitstellung zwingend geboten.

Der Umstand, dass die Untersuchung nicht stattgefunden hat, muss vom Patienten nachgewiesen werden, was durch die glaubhaften Aussagen des Patienten und seiner Ehefrau geschehen war.

Keine Entlastung der Ärztin durch Dokumentation 

Der Vermerk in der Behandlungsdokumentation, es habe eine Untersuchung in Mydriasis stattgefunden, wurde durch den BGH nicht als ausreichend angesehen. Zwar kommt der Behandlungsdokumentation grundsätzlich eine positive Indizwirkung dahinggehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme vom Behandler tatsächlich durchgeführt wurde; Voraussetzung hierfür sei aber eine fälschungssichere Dokumentation. 

Fälschungssichere Praxis-Software

Für die elektronische Form der Dokumentation ist – wie für die Papierform  – vorgeschrieben, dass die Behandlungsdokumentation „fälschungssicher“ bzw. revisionssicher sein muss. § 630f Abs. 1 S. 2 & 3 BGB statuiert, dass Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen so vorgenommen werden müssen, dass der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleibt und klar ist, wann die Änderung duch wen vorgenommen wurde.

Da die von der Ärztin verwendete Praxis-Software diesen Anforderungen nicht genügte, verneinte der BGH den Beweiswert der Patientenakte und ging – aufgrund der Aussagen und fehlender Gegenbeweise der Ärztin – von einer unterlassenen Pupillenweitstellung aus.  

Prüfung der Praxis-Software empfohlen

Zwar sind die gesetzlichen Anforderungen an die elektronsiche Behandlungsdokumentation nicht neu, jedoch haben die Gerichte der Praxis-Software und deren Fälschungssicherheit bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Dies dürfte sich nach der klaren Aussage des BGH zukünftig ändern.

Wir empfehlen daher die Praxis-Software darauf zu überprüfen, ob diese die gesetzlichen Anforderungen erfüllt und Korrekturen sowie Nachträge „fälschungssicher“ hinterlegt werden. Hier sollte ggfs. auch Rücksprache mit dem Hersteller geführt werden, ob und wie die zugehörige Verfahrensdokumentation eingesehen und einem Gericht vorgelegt werden kann.

RAin Alexa Frey, Fachanwältin für Medizin- & IT-Recht

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