HBO bei diabetischem Fußsyndrom – medizinische Funktionsweise & Haftungsfragen bei Nichtempfehlung
Autoren: Georg Rinneberg, RAin Alexa Frey
Bereits seit 2017 wurde die Behandlung mit Hyperbarer Sauerstofftherapie (kurz: HBO) durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms (DFS) aufgenommen. Die HBO ist nunmehr in der „Anlage I: Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ der Richtlinie Methoden der vertragsärztlichen Versorgung als Ziffer 22 aufgeführt.
Die HBO darf danach als zusätzliche Behandlung beim diabetischen Fußsyndrom nur durchgeführt werden, wenn bestimmte – medizinische und tatsächliche – Voraussetzungen erfüllt sind. Unter anderem darf die HBO-Behandlung nur auf Überweisung durch Fachärzte für Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie oder Fachärzte für Innere Medizin oder für Allgemeinmedizin jeweils mit der Zusatzweiterbildung „Diabetologie“ oder der Bezeichnung „Diabetologe Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)“ erfolgen.
In der Praxis zeigt sich – trotz der Aufnahme vor 5 Jahren – eine gewisse Zurückhaltung bei der Überweisung der Patienten zur HBO bei den hierfür zuständigen Fachärzten.
Der Artikel soll einen Überblick über die Physiologie der Wundheilung beim diabetischen Fuß mit HBO geben und zudem die haftungsrechtlichen Folgen bei Nichtausstellung von Überweisungen zur HBO beleuchten.
Physiologie der Wundheilung mit HBO
Einer der grundlegenden Wege zur Nichtheilung von Wunden ist das Zusammenspiel von Gewebe-Hypoperfusion, daraus resultierender Hypoxie und Infektion. Chronische Hypoxie innerhalb als auch in der Umgebung der Wunde behindert die Wundheilung durch zahlreiche Mechanismen, die gleichzeitig wirken. Eine der Herausforderungen bei der modernen Wundversorgung besteht darin, das Ausmaß der lokalen Hypoxie zu ermitteln, das zu der gestörten Heilung beiträgt, und diese Hypoxie dann so weit wie möglich zu korrigieren. In den letzten 40 Jahren wurden zahlreiche Forschungsergebnisse und klinische Nachweise gesammelt, die zeigen, dass die intermittierende Sauerstoffzufuhr zu hypodurchblutetem Gewebe, die nur durch die Exposition mit HBO erreicht werden kann, viele dieser Hindernisse abschwächt und eine Kaskade von Reaktionen in Gang setzt, die zur Wundheilung beitragen.
Eine angemessene molekulare Sauerstoffversorgung wird für eine Vielzahl von biosynthetischen Prozessen benötigt, die für eine normale Heilung unerlässlich sind. Molekularer Sauerstoff wird für die Hydroxylierung von Prolin während der Kollagensynthese und -vernetzung sowie als provisorisches Substrat für die Produktion reaktiver Sauerstoffspezies während des Atmungsstoßes in Leukozyten benötigt, die Bakterien phagozytieren. Während kurzzeitige Hypoxie ein Stimulus für die Angiogenese bei der Wundheilung ist, ist ein angemessener lokaler Sauerstoffgehalt erforderlich, um eine wirksame angiogene Reaktion und den Wiederaufbau der Hautmatrix aufrechtzuerhalten. Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass Sauerstoff auch eine wichtige Rolle bei den für die Gewebereparatur erforderlichen Zellsignalprozessen spielt, was die fragile Dynamik zwischen Sauerstoffverfügbarkeit und erhöhtem Sauerstoffbedarf während der Wundheilung weiter erklärt.
Hyperbare Sauerstoffumgebung:
Die hyperbare Oxygenierung von Gewebe wird erreicht, wenn ein Patient 100 % Sauerstoff in einer Umgebung mit erhöhtem Atmosphärendruck atmet, der typischerweise im Bereich von 2,0 bis 3,0 ATA (Atmosphären absolut) liegt. Dies in Deutschland üblicherweise in einer Mehrplatzkammer, die mit Luft gefüllt ist, wobei der Patient 100 % Sauerstoff durch eine Maske atmet. Dabei erhöht sich der PO2-Wert auf über 1700 mmHg. Sauerstoff wird auf zwei verschiedene Arten durch das Blut transportiert: (1) chemisch gebunden an das Hämoglobin in den Erythrozyten und (2) physikalisch gelöst im Plasma. Nach dem Henry’schen Gesetz steigt die Gasspannung des Sauerstoffs im Blut und im Gewebe, wenn der Sauerstoffpartialdruck in den Alveolen zunimmt. Dies führt zu einer erhöhten Sauerstoffverfügbarkeit durch verstärkten Sauerstofftransport, der im Plasma und schließlich in den Geweben gelöst wird.
Im Ruhezustand verbraucht der Körper etwa 6 ml Sauerstoff pro 100 ml Blut, von dieser Menge werden jedoch nur 0,3 ml durch das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen transportiert. Wenn der Druck auf 2 ATA reinen Sauerstoffs erhöht wird, steigt der Plasmasauerstoffgehalt auf 4,4 ml. Die Sauerstoffsättigung des Gewebes wird durch die HBO erheblich verbessert. Bei 3 ATA sind etwa 6,4 Volumenprozent Sauerstoff physikalisch im Plasma gelöst, was ausreicht, um das Leben auch in Abwesenheit von Hämoglobin zu erhalten. Wenn die Menge des gelösten Sauerstoffs im Plasma zunimmt, erhöht sich auch die Diffusionsdistanz des Sauerstoffs aus den Kapillaren. Sie erhöht sich am arteriellen Ende (64-247 Mikrometer) der Kapillare etwa um das Vierfache und verdoppelt sich am venösen Ende (36-64 Mikrometer) mit dem erhöhten PaO2 von Atemluft bei 1 ATA und 100% Sauerstoff bei 3 ATA.
Die HBO versorgt das hypoxische Gewebe mit zusätzlichem Sauerstoff und unterstützt die Gewebeheilung durch eine Reihe von Mechanismen. Zu den primären oder direkten Auswirkungen gehört die Korrektur des hypoxischen Zustandes durch Erhöhung der Sauerstoffzufuhr und des damit einhergehenden Sauerstoffpartialdruckes, eine anmikrobielle Aktivität und die Abschwächung der HIF-ausgelösten Effekte. Zu den sekundären Auswirkungen gehören indirekte Folgen der HBO, wie z.B. die Verringerung der Bildung von ROS, Steigerung der Heilungsfähigkeit des Körpers, Vasokonstriktion, und Angiogenese sowie die Unterdrückung von Entzündungen.
Ein Sauerstoffmangel prädisponiert zu einem erhöhten Risiko von Infektion aufgrund der Schwächung der Fähigkeit der neutrophilen Sauerstoffradikale für bakterizide Wirkung zu bilden. HBO kann dieses Ungleichgewicht des angeborenen Immunsystems durch die Regeneration der angeborenen bakteriziden Aktivität der Neutrophilen, aber auch durch seine eigene antimikrobielle Wirkung wiederherstellen. Die bakterizide Aktivität der HBO wirkt gegen einige anaerobe Bakterien wie z. B. das Clostridium perfringens. Die HBO hat eine zusätzliche Wirkung durch die Unterdrückung der α-Toxin-Aktivität. Nicotinamid Adenin-Dinucleotid-Phosphat-Oxygenase benötigt Sauerstoff, um die Bildung von ROS in Phagozyten zu katalysieren. Der erhöhte Bedarf an Sauerstoff durch die Neutrophilen kann durch die HBO bereitgestellt werden, so dass das System wieder ins Gleichgewicht kommen kann. Bakteriostatische Wirkungen, wie die Unterdrückung des bakteriellen Zellwachstums und der Zellteilung wurde gegen mehrere Escherichia-Arten und Pseudomonas beschrieben und ist eine direkte Wirkung der HBO. Diese direkte Wirkung ist ein Beispiel für die Verknüpfung von Sauerstoff mit der Immunantwort.
Wie bereits diskutiert, benötigt HIF niedrige Sauerstoffkonzentrationen, um zu dimerisieren und an die HRE zu binden. HBO erzeugt einen hyperoxischen Zustand, in dem die Tätigkeit sowohl der PHD als auch der FIH angeregt werden. Die Blockierung der HIF-Aktivierung ist vor kurzem in Frage gestellt worden. Eine Studie mit Hypoxie, Normoxie und Hyperoxie bei 30% Sauerstoff zeigten, dass Xenotransplantate bei Hyperoxie höhere Konzentrationen von HIF-1α aufwiesen.15 Diese Beobachtung muss durch Studien verifiziert werden, die das Aktivitätsniveau von HIF bei hyperoxischen Bedingungen untersuchen. Ohne weitere Daten zur Angabe der HIF-Aktivität in Hyperoxie wird angenommen, dass die Aktionen von PHD und FIH den Mechanismus der positiven Rückkopplungsschleife unterbricht und so die durch diesen Zyklus verursachten Schäden verhindert. Zusätzlich hilft die Inaktivierung von HIF den Zellen, ihren oxidativen Metabolismus zu steigern, wodurch mehr ATP verfügbar wird. Zellen mit mehr ATP sind besser geeignet, den hypoxischen Auswirkungen zu widerstehen und sind daher eher in der Lage, Apoptose und Funktionsstörungen zu vermeiden.
Indirekt führt die HBO zur besseren Heilung und weniger Entzündungen durch reduzierte radikalische Sauerstoffspezies, Vasokonstriktion und Angiogenese. Die heilende Wirkung der HBO beruht auf den sekundären Aus- wirkungen der Hyperoxie auf das Gewebe. Hyperoxisches Gewebe dehnt sich nicht aus (außer in der Lunge) und verengt sich stattdessen in Extremfällen zu einer situativ gefäßverengungsinduzierte periphere Ischämie. Dies ist äußerst hilfreich bei der Reduzierung von Ödemen und der Kontrolle von Sekundärverletzungen. Hohe Sauerstoffkonzentrationen hemmen die Bildung von Superoxiden durch die Neutrophilen und begünstigen die Heilungsprozesse durch Verhinderung weiterer Entzündungen und Gewebsschäden. Sauerstoff wird auch von den Fibroblasten benötigt, um Kollagen zu bilden und die Angiogenese durchzuführen. Hyperoxisches Gewebe zeigt schnellere und vollständigere Heilung aufgrund des leicht verfügbaren Sauerstoffes, der für die Kollagenbildung benötigt wird. Mit einer erhöhten Fähigkeit neue Gefäße zu bilden, werden mehr Nährstoffe durch neu gebildete Kapillarbetten schnell in den verletzten Bereich transportiert die wiederum eine bessere Genesung ermöglichen. Das ist ein wesentlicher Faktor, denn die HBO hilft indirekt bei der Vermeidung von Reperfusionsschäden. Sobald die Ursache einer Hypoxie behoben ist, führt die Wiederherstellung des Sauerstoffgleichgewichts zu Reperfusionsschäden. Hypoxische oder ischämische Gefäße werden zu Zielen für Neutrophile. Diese heften sich an hypoxische Gefäße und beginnen das lokale Gewebe durch Freisetzung von Proteasen zu vernarben und bilden freie Radikale, die eine extreme Vasokonstriktion verursachen.18 Diese Effekte vermindern den Blutfluss in den lokalen Bereichen und enden in der Zerstörung von Gewebe. In tierexperimentellen Studien an Ratten wurde nachgewiesen, dass die HBO das Anhaften von Neutrophilen an beschädigten Gefäßen zu hemmen vermag und postischämische Vasokonstrik- tion zu verursachen.
Zu den sekundären Vorteilen der HBO gehört die Verringerung der Entzündung, Milderung der Reperfusionsverletzung, Förderung der Wundheilung und Verbesserung der Durchblutung. Die primären Vorteile umfassen erhöhte Sauerstoffspannung, antimikrobielle Wirkung sowie die Blockierung der HIF-Aktivität. Nebenwirkungen von HBO sind selbstlimitierend und aufgrund der Voruntersuchungen vor der Therapie selten.20 Die bei der HBO verwende- ten therapeutischen Drücke liegen im Bereich von 2,0 bis 3,0 ATA. Diese Behandlungsdrücke werden bevorzugt, um mögliche Nebenwirkungen wie z.B. Barotraumata am Trommelfell zu vermeiden. Da Sauerstoff toxisch ist, kann es zu generalisierten Krampfanfällen in der klinischen Anwendung kommen, sie sind sehr selten, wurden aber berichtet.21 Insgesamt ist die HBO eine sichere und gut verträgliche Therapie, wenn sie unter der Leitung von erfahrenen Anwendern und zertifizierten Zentren durchgeführt wird.
Die HBO wird weltweit zur Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms erfolgreich eingesetzt. Mehrere HTA-Berichte u.a. aus Kanada kommen zu dem Schluss dass die konsequente, frühzeitige Anwendung der HBO beim DFS nicht nur zu einer schnelleren Wundheilung und zur Senkung der Amputationszahlen beiträgt, sondern auch auf 5 Jahres Sicht kosteneffektiv ist.
Haftungsfragen bei Nichtausstellung von Überweisungen zur HBO
Die Richtlinie Methoden vertragsärztiche Versorgung (im Folgenden: G-BA-Richtlinie) benennt in Anlage I die vom G-BA für die vertragsärztliche Versorgung anerkannten ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) verordnet werden können. Bei einer entsprechenden Überweisung des Patienten zur HBO-Therapie durch den entsprechenden Facharzt, erhält der Patient die HBO- Therapie als Sachleistung auf Kosten der GKV. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat zudem eine Qualitätssicherungsvereinbarung für HBO bei DFS herausgegeben.
Allein aus der G-BA-Richtlinie ergibt sich aber keine Verpflichtung des Facharztes eine HBO an Patienten mit dia- betischem Fußsyndrom zu verordnen. Der Facharzt ist vielmehr verpflichtet den Patienten nach dem im Behandlungszeitpunkt geltenden Facharztstandard („lege artis“) zu behandeln. Dieser Facharztstandard bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nach den Leitlinien, die von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften vorgegeben werden.
Facharztstandard beim diabetischen Fußsyndrom
Für die Behandlung des DFS existiert die S3-Leitlinie „Typ-2-Diabetes Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen“. Die hier aktuelle Fassung ist aus dem Jahr 2010. Insoweit dürften die darin statuierten Vor- gaben, bei einer 12 Jahre alten Leitlinie als überholt gelten. Die aktuell in Überarbeitung befindliche S3 Leitlinie „S3-Leitlinie Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrank- heit, Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz“ von 2012 listet die HBO als zusätzliche Therapieoption auf.
Darüber hinaus ist der anerkannte und gesicherte Stand der medizinischen Wissenschaft des jeweiligen Fachgebietes im Zeitpunkt der Behandlung für die Bestimmung des Facharztstandards maßgeblich. Hier sind u.a. die Guidelines der International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF)28 sowie die DDG-Praxisempfehlung zu beachten.
In den Guidelines sowie der Praxisempfehlung wird die HBO-Therapie als zusätzliche Behandlung von ischämischen diabetischen Fußulzera, die trotz „best standard of care“ nicht heilen, empfohlen. Hinzu kommt die oben dargestellte umfassende internationale Studienlage, die eine Befundverbesserung bis hin zur Abheilung teilweise therapieresistenter Wunden belegt.
Aufgrund der hier dargestellten rechtlichen Voraussetzungen ist die HBO zur Behandlung des DFS als Facharztstandard etabliert.
Rechtliche Folgen
Welche möglichen, rechtlichen Folgen treffen nun den behandelnden Facharzt, der bei Vorliegen eines bis dato therapieresistenten Fußulzera keine Überweisung zur HBO für den betroffenen Patienten ausspricht.
Hierzu gibt es bisher noch keinerlei Rechtsprechung. Möglich wäre aber eine Klage des Patienten auf Schmerzensgeld und Schadenersatz aus einem Behandlungsfehler, bei Vorliegen eines dauerhaften Gesundheitsschadens.
Ein Gesundheitsschaden liegt beim Patienten mit therapieresistenten Ulzera in der – meist notwendigen – Amputation des Vorfußes oder Teilen des Vorfußes, bspw. der Großzehe.
Eine Haftung kann sich für den Facharzt aus zwei Punkten ergeben. Zum einen aufgrund einer fehlenden Überweisung und Durchführung der HBO, zum anderen aufgrund der fehlenden Aufklärung des Patienten über die Behandlungsalternative der HBO.
Haftung wegen fehlender HBO
Die HBO ist rechtlich – spätestens seit Aufnahme in die Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung – als eine Therapiemethode bei diabetischem Fußsyndrom anzusehen. Folglich ist diese durch den behandelnden Facharzt auch vorzuschlagen und – sofern der Patient diese nicht ablehnt – ist der Patienten an Druckkammerzentren zu überweisen. Die Pflicht rechtzeitig einen Arzt anderer Fachrichtung hinzuzuziehen oder den Patienten an einen anderen Facharzt zu überweisen, ist eine berufsrechtlich niedergelegte Pflicht eines jeden Arztes.
Der Arzt hat grundsätzlich im Rahmen mehrerer zur Wahl stehenden Therapien die Freiheit zu entscheiden, welche dieser Therapien er für vorzugswürdig hält. Diese Therapiefreiheit ist in bestimmten Fällen jedoch begrenzt. Bieten die zur Auswahl stehenden Behandlungsalternativen die gleichen Heilungschancen, dann hat der Arzt die Therapie zu wählen, die mit den geringeren Risiken verbunden ist.
Steht nun bei einem Ulcerus am Fuß neben der Durchführung der HBO nur eine teilweise oder vollständige Amputation des Vorfußes als Therapiealternative zur Auswahl, muss der Arzt – vorrangig und zunächst – die HBO empfehlen. Grund hierfür ist, dass eine Amputation zu einem Verlust eines Körpergliedes und somit eines irreversiblen Gesundheitsschaden führt. Die HBO ist – korrekt durchgeführt – nebenwirkungsarm, bzw. nebenwirkungsärmer als eine Amputation. Ferner sind die Patienten nach einer Amputation am Vorfuß erheblich im Gleichgewicht eingeschränkt. Aufgrund der schlechten Durchblutung im Fuß kommt es zudem bei Amputationen nicht selten zu Wund- heilungsstörungen.
Ferner ist die ärztliche Behandlung nach den Vorgaben des Berufsrechts stets am Wohl des Patienten auszurichten.
Grundsätzlich kann sich aus der Nichtempfehlung der HBO eine Haftung des behandelnden Facharztes – oft des Diabetologen – ergeben. Das Ausmaß der kausal eingetretenen Gesundheitsschäden ist stets vom konkreten Patientenfall, somit dem Einzelfall abhängig.
Käme ein medizinischer Sachverständiger zu dem Ergebnis, dass bei Durchführung der HBO eine Vorfußamputation höchstwahrscheinlich hätte verhindert werden können, dürften entsprechend hohe Schmerzensgeldsummen im Raum stehen. Darüber hinaus müssten auch die materiellen Schäden, für den verletzungsbedingten Mehraufwand getragen werden.
Fehlende Aufklärung über Behandlungsalternative
Darüber hinaus kann – als eigner oder zusätzlicher Haftungsgrund – ein Aufklärungsdefizit des Arztes vorliegen. Ein solcher Aufklärungsfehler kann in der fehlenden Aufklärung über bestehende Behandlungsalternativen liegen. Existieren mehrere Therapiemöglichkeiten, die sich in der Art der Risiken und der Belastungen für den Patienten wesentlich voneinander unterscheiden oder eine der Therapien eine wesentlich günstigere Risikoquote ausweisen, muss der Arzt hierüber aufklären. Bei der Wahl zwischen einer – auch teilweisen – Amputation des Fußes oder der vorherigen Durchführung einer HBO, muss bereits aufgrund der irreversiblen Gesundheitsschädigung der Amputation und der risikoarmen HBO, vorrangig über eine HBO aufgeklärt werden. Bei einer fehlenden Befundverbesserung durch die HBO, kann zudem nachrangig eine Amputation vorgenommen werden. Insoweit sollte der Patient eigenständig darüber entscheiden können, welche Risiken und Belastungen er unter Berücksichtigung unterschiedlicher Erfolgsaussichten auf sich nimmt.
Der Patient mit diabetischem Fußsyndrom ist daher zwingend über die HBO als mögliche Therapiealternative aufzuklären, fehlt es hieran, kann ebenfalls eine Haftung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld greifen.
Für betroffene Patienten stellt die HBO eine – zeitlich der Amputation vorgelagerte – alternative Behandlungsmöglichkeit dar. Da es sich um eine zwischenzeitlich anerkannte Behandlungsmethode handelt, dürfte sich der Facharzt auch nicht auf eine fehlende Wirksamkeit der Methode zurückziehen können. Dies vor allem deshalb nicht, da das Risikoprofil der HBO im Vergleich zu Amputationen des Vorfußes – die auch nach möglicherweise frustraner HBO noch durchgeführt werden können – keine irreversiblen Verluste von Körperteilen zur Folge hat.
Fachärzte, die eine HBO-Therapie nicht empfehlen, setzen sich daher einem nicht unerheblichen Haftungsrisiko aus.